Sechster Poetry Slam Kelsterbach zieht viel Publikum an
Von Hänsel im Pech, Mittelmäßigkeit und Katy Perry auf Amrum
Bereits zum sechsten Mal wurde am vergangenen Freitag in Kelsterbach ein Poetry Slam veranstaltet, federführend organisiert durch Hartmut Blaum vom Volksbildungswerk. Fünf Wortkünstler und eine Wortkünstlerin waren in die Stadt- und Schulbibliothek gekommen, um die „Goldene Ananas“ zu gewinnen, indem sie das Publikum bestmöglich mit ihren Texten zu unterhalten versuchten.
Das Interesse daran war sehr groß, kamen doch rund 50 Besucherinnen und Besucher in die Bibliothek, wo sie von Poetry-Slam-Profi Benedict Hegemann empfangen wurden, der als Moderator durch den Abend führte. Auf sehr humorvolle Art erklärte er zunächst die vier wichtigsten Regeln für einen Poetry Slam: So muss jeder Text selbst verfasst sein und darf ein Zeitlimit von sechs Minuten Vortragszeit nicht überschreiten. Es dürfen keine Requisiten und Kostüme verwendet werden und nur kurze Abschnitte gesungen vorgetragen werden. 90 Prozent des Textes muss gesprochen werden.
Nach dieser kurzen Erläuterung nahm Hegemann das Publikum in die Pflicht, denn fünf der Besucherinnen und Besucher kam die ehrenvolle Aufgabe zu, die Beiträge der Poetry Slammer mit Punkten von eins bis zehn zu bewerten. Nachdem auch hier das Regelwerk erläutert worden war, ging es mit den Beiträgen los. Als „Opferlamm“ bezeichnet, durfte Hartmut Blaum, Vorsitzender des Volksbildungswerks, außer Konkurrenz den ersten Beitrag des Abends vortragen. Er brachte eine poetische Liebesgeschichte zu Gehör, deren Besonderheit es war, dass in den Text immer wieder die Namen außergewöhnlicher Teesorten eingewoben waren, die Blaum in einem dänischen Geschäft im Main-Taunus-Zentrum entdeckt hatte.
Nach dem gelungenen Einstand startete der eigentliche Poetry Slam. Als erster Teilnehmer nahm Michael Goehre aus Eschwege das Publikum mit auf einen textlichen Extremurlaub und bot dabei die ultimative Challenge an: Dabei ging es nicht etwa um Bungee-Jumping in einem inaktiven Vulkan, sondern um die Königsdisziplin des Extremsports: Fahrradfahren im Ruhrgebiet. Den oft sehr schwarzhumorigen Ausführungen folgte Leona aus Gießen, die zu einem Ausflug ins Reich der Märchen einlud. Dabei war ihre „Hans-im-Glück“-Variante mit dem Titel „Hänsel im Pech“ gespickt mit Anspielungen auf andere Märchen und gipfelte in einem unerwartet bösen Ende, das vom Publikum mit einem von kraftvollem Lachen begleiteten Applaus gewürdigt wurde.
Artem Zolotarov aus Mainz näherte sich dann auf sehr eigene Art und Weise dem legendären Franz Kafka, den er für eine im besten Sinne des Wortes kafkaeske Liebeserklärung kurzerhand ins Weltall verfrachtete.
Emm Weyrauch aus Gräfenhausen im Landkreis Darmstadt-Dieburg begann seinen Vortrag sehr ruhig und positiv, denn er freue sich sehr über die Vielseitigkeit der an diesem Abend gehörten Beiträge. Allerdings falle ihm angesichts des Zustands unserer Welt das Lächeln immer schwerer. Es folgte eine bitterbös-poetische Abrechnung mit den Menschen, die gleichermaßen zum Lachen, wie auch zum Nachdenken anregte.
Nach einer kurzen Pause trat Hegemann selbst vors Mikrofon und erzählte von einem Autor, der nichts weniger versucht, als den „besten Text der Welt“ zu schreiben, während um ihn herum das pure Chaos herrscht. Dem ließ Slammer Stevo aus Gießen einen amüsanten Ausflug in die Mittelmäßigkeit folgen, mit dem Fazit, dass diese manchmal auch „voll okay“ sein kann. Der letzte Beitrag der Vorrunde kam von Tobias Beitzel aus Bad Berleburg, der seinem Text den Titel „Katy Perry macht Urlaub auf Amrum“ gegeben hatte. Dabei handelte es sich um Momentaufnahmen einer Zugfahrt, bei der Beitzel von Menschen genervt wurde, die gerne die Musik von Katy Perry hören und Til Schweiger für einen begnadeten Filmemacher halten.
In die Finalrunde schafften es mit den Punkten der Jury Emm Weyrauch, Tobias Beitzel und Stevo. Hier durfte jeder der Drei noch einmal mit einem weiteren Beitrag glänzen. Während Weyrauch eine kraftvolle Ode an die Kunst zum Besten gab, durfte das Publikum Beitzel als 14-jährigen Knaben zu einer etwas unangenehmen Untersuchung beim Kinderarzt begleiten, die ihn an Musterungsszenen aus alten Kriegsfilmen erinnert. Stevo schließlich berichtete, wie er als „Meister der Prokrastination“ sein Studium abgeschlossen hat, wobei er immer kreativere Wege fand, um dringliche Aufgaben vor sich herzuschieben.
Der Sieger wurde nicht wie in der Vorrunde durch Punkte, sondern anhand der Intensität des Applauses bewertet. Über den ersten Preis des Abends, die „Goldene Ananas“, durfte sich Tobias Beitzel freuen, während sich seine beiden Mitstreiter einen gemeinsamen zweiten Platz teilten. Hegemann dankte abschließend allen teilnehmenden Künstlern, dem Team der Stadt- und Schulbibliothek für die Bereitstellung der Räumlichkeiten, sowie dem Volksbildungswerk und insbesondere Blaum für die gelungene Organisation des Abends: „Ohne ihn wäre all das hier heute nicht möglich gewesen.“